THERAPIE

Geschichte der Therapien1

Die intensive Forschung in den vergangenen Jahrzehnten hat zu erheblichen Fortschritten in der Behandlung geführt. Vor rund 100 Jahren gab es für Menschen mit Hämophilie noch keine Therapieoptionen, weshalb ihre Gelenke stark angegriffen waren und viele Betroffene schon im Kindesalter an der Krankheit verstarben. Doch durch Fortschritte in der Forschung folgten auch Fortschritte in der Behandlung der Hämophilie.
 

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Ende des 19. Jahrhunderts entdeckten Wissenschaftler:innen, dass bei Hämophilie die Gerinnungsfähigkeit des Blutes gestört ist. Anschließend, Anfang des 20. Jahrhunderts, wurde dann bekannt, dass die Blutungsneigung auf dem Fehlen eines sogenannten „antihämophilen Faktors“ beruht. Dieser wurde Ende der 1950er Jahre in den "Faktor VIII" umbenannt. Zuvor hatten Wissenschaftler:innen bereits entdeckt, dass es zwei Formen der Hämophilie gibt, bei denen unterschiedliche Gerinnungsfaktoren fehlen. Bei Hämophilie A fehlt der Gerinnungsfaktor VIII, bei Hämophilie B der Gerinnungsfaktor IX. Auf der Grundlage dieses Wissens behandelte man Hämophilie bei akuten Blutungen mit einem Eiweißgemisch aus menschlichem Blutplasma, der sogenannten Cohn-Fraktion. Wenige Jahre später stießen Wissenschaftler:innen darauf, dass die Behandlung nicht erst bei Blutungen eingesetzt werden kann- die regelmäßige Verabreichung des Faktors beugt Blutungen sogar vor. Eine neue Methode ermöglichte es schließlich, ein Faktorkonzentrat aus menschlichem Blutplasma herzustellen. Dieses Konzentrat war die Grundlage für das erste Faktor-VIII-Medikament, das ebenfalls vorbeugend eingesetzt werden konnte. Wenige Jahre später etablierte sich die Heimselbstbehandlung. Betroffene müssen seither zur Verabreichung des Medikaments nicht mehr ins Spital.

Ende der 1980er Jahre wurde deutlich, dass weitere Forschung zur Hämophilie-Behandlung nötig war, denn die aus menschlichem Blutplasma hergestellten Faktorpräparate (Medikamente zum Einsatz bei Gerinnungsfaktormangel) konnten auch Krankheitserreger übertragen. Viele Hämophiliepatient:innen wurden auf diesem Weg mit Hepatitis B und C sowie HIV infiziert. Seither inaktiviert man Krankheitserreger durch zum Beispiel Erhitzen, um die Behandlungssicherheit zu erhöhen. Zusätzlich werden die Plasmapräparate gründlicher aufgereinigt und sensitive Methoden zur Virusidentifizierung kommen zum Einsatz.

Gen für die Faktor-VIII-Bildung entdeckt1, 2, 3

Das menschliche Gen, das für die Faktor-VIII-Bildung verantwortlich ist, entdeckten Forscher:innen im Jahr 1984. Dadurch wurde es möglich, sogenannte rekombinante Faktorpräparate zu entwickeln. Diese werden nicht aus menschlichem Blut, sondern biotechnologisch (Herstellung von Produkten oder Arzneimitteln mithilfe lebender Zellen und Organismen) unter Nutzung von Zellkulturen hergestellt.

1989 wurde der rekombinante Faktor VIII erstmals bei Hämophiliepatient:innen in den USA eingesetzt. Die neuen Faktorprodukte benötigten allerdings den Zusatz von Eiweißen aus menschlichem oder tierischem Plasma als Stabilisatoren. Erst 2004 kam ein Faktor-VIII-Präparat, das komplett ohne Zusatz menschlicher und tierischer Eiweiße hergestellt wird, auf den Markt.

In den 2010er Jahren gelang es, die Halbwertszeit der Faktor-VIII- und Faktor-IX-Präparate zu verlängern. Dadurch wirkt der Schutz vor Blutungen länger, weshalb weniger oft nachgespritzt werden muss.

Prophylaktische Behandlung mittels Antikörper4

Seit 2018 steht in Österreich ein subkutanes Präparat zur prophylaktischen Behandlung von schwerer Hämophilie A zur Verfügung. Ein biotechnologisch hergestellter, sogenannter “bispezifischer Antikörper”, übernimmt im Körper die Funktion des fehlenden oder in zu geringen Mengen vorhandenen Faktors VIII und beschleunigt so die Blutgerinnung. Das Präparat wird direkt unter die Haut gespritzt (subkutan).

Gentherapie: Therapie der Zukunft?1,2

Hoffnung wird auch in die Gentherapie gesetzt. Unschädlich gemachte Viren transportieren ein intaktes Gen für den Faktor VIII (Hämophilie A) oder den Faktor IX (Hämophilie B) in die Leber. Die Leber produziert daraufhin selbst funktionstüchtige Gerinnungsfaktoren.

 

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